Meilensteine unseres Erfolgs

Die Bezeichnung eines Oberstaatsanwalts im Straßenverkehr als „Blockwart“ ist keine Beleidigung. Der von der Staatsanwaltschaft Angeklagte wurde vom Landgericht Düsseldorf freigesprochen. Da ein klarer Sachzusammenhang gegeben war und sich das Wort „Blockwart“ auch inhaltlich auf das beanstandete Verhalten des Oberstaatsanwalts bezog, war nach zutreffender Auffassung des Landgerichts nicht anzunehmen, dass ein Verächtlichmachen ohne jeden Bezug zu einer sachlichen Auseinandersetzung vorlag.

In der Strafsache

 

 

Verteidiger:          Rechtsanwalt Daniel Tobias Czeckay, Weststraße 33, 40597 Düsseldorf,

 

hat die 32. kleine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf auf die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 30.08.2022 in der Hauptverhandlung vom 24.01.2023, an der teilgenommen haben:

 

 

für Recht erkannt:

 

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

 

Der Angeklagte wird freigesprochen.

 

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des

 

Angeklagten trägt die Staatskasse.

 

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Düsseldorf hat den Angeklagten durch Urteil vom 30.08.2022 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt. Hiergegen richtet sich die Berufung des Angeklagten, der seine Freisprechung begehrt. Die Berufung hat Erfolg. Sie führt zum Freispruch aus rechtlichen Gründen.

 

II.

Die Hauptverhandlung vor der Kammer hat zu folgenden Feststellungen geführt:

 

1.

Der Angeklagte ist selbstständig im Messe- und Ladenbaugewerbe tätig, lebt aber derzeit von Erspartem. Er hat einen erwachsenen Sohn. Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.

 

2.

Am 27.08.2021 stellte der Angeklagte gegen 12:45 Uhr seinen Pkw an der Fleher Straße 115 in Düsseldorf vor der dortigen Bäckerei auf einem Zufahrtsweg auf einem nicht zum Parken zugelassenen Bereich ab, womit er die Zufahrt anderer Kraftfahrzeuge zu dem hinter der Bäckerei befindlichen Wohnkomplex und den Rettungsweg blockierte. Er stieg aus dem Pkw aus und stellte sich an einer Schlange wartender Menschen für die Bäckerei an, um dort etwas zu kaufen.

 

Der Zeuge Dr. X., der mit dem Fahrrad unterwegs war, erklärte dem Angeklagten, dass er dort nicht parken könne. Der Angeklagte reagierte auf diese Ansprache nicht. Der Zeuge Dr. X. forderte den Angeklagten daraufhin auf, seinen Pkw wegzufahren. Der Angeklagte schüttelte lediglich den Kopf und reagierte nicht weiter. Der Zeuge Dr. X erklärte, er könne ihn ruhig ignorieren, aber er sei von der Staatsanwaltschaft und werde jetzt die Polizei rufen. Der Angeklagte äußerte daraufhin in genervtem Tonfall entweder „Rufen Sie die Polizei, du Blockwart“ oder „Machen Sie hier nicht den Blockwart!“ oder „Machen Sie hier den Blockwart?“ oder „Spiel dich nicht hier als Blockwart auf!“.

 

Wegen des falschen Parkens wurde gegen den Angeklagten ein Bußgeldbescheid über 30,00 € erlassen. Das Bußgeld bezahlte der Angeklagte.

 

III.

Die Feststellungen zur Person beruhen auf den Angaben, die der Angeklagte zur Person vor dem Amtsgericht gemacht hat und die gemäß § 254 StPO verlesen wurden.

 

Zur Sache hat sich der Angeklagte vor der Kammer nicht eingelassen. In erster Instanz – hatte er sich – wie gemäß § 254 StPO verlesen wurde – dahingehend eingelassen, dass der Zeuge Dr. X. immer weiter auf ihn eingeredet habe und er versucht habe, auf Durchzug zu schalten. Letztlich habe er dann gesagt: „Machen Sie hier nicht den Blockwart.“ Vor der Kammer gab er an, er habe dies vor dem Amtsgericht als Frage formuliert. Die Worte seien gewesen: „Machen Sie hier den Blockwart?“ Die Zeugen Dr. X und S., deren Aussagen gemäß § 325 StPO verlesen wurden, gaben ebenfalls wieder, dass das Wort „Blockwart“ gefallen ist, wobei die geschilderten Formulierungen abwichen. Der Zeuge Dr. X hatte die Formulierung: „Rufen Sie die Polizei, du Blockwart!“ in Erinnerung, während der Zeuge S. einräumte, den Wortlaut nicht sicher zu erinnern, aber meinte, es seien die Worte: „Spiel dich nicht hier als Blockwart auf!“ gefallen. Es bestand keinerlei Aussicht, die genaue Formulierung durch erneute Vernehmung der Zeugen sicher feststellen zu können, weshalb auf diese verzichtet wurde. Denn der Unrechtsgehalt der alternativ geschilderten Formulierungen unterscheidet sich ohnehin nur marginal. So macht es etwa keinen Unterschied, ob eine ehrenrührige Bezeichnung formal in eine Frage gekleidet wird oder in einen Aussagesatz („Machst du den Blockwart?“ oder „Mach nicht den Blockwart!“).

 

IV.

Durch die festgestellte Äußerung hat sich der Angeklagte jedoch nicht wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB strafbar gemacht.

 

1.

Weichenstellend für die Prüfung der Verletzung der Ehre ist die Erfassung des Inhalts der Äußerung. Maßgeblich ist dabei weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (BVerfG, NJW 2022, 680, 682; BVerfG 2009, 3016, 3018). Danach ist vorliegend die Äußerung nicht als Behauptung einer Tatsache, sondern offensichtlich als ein unter § 185 StGB fallendes Werturteil anzusehen.

 

2.

Die Annahme einer Beleidigung erfordert grundsätzlich eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die den betroffenen Rechtsgütern und Interessen, hier also der Meinungsfreiheit und der persönlichen Ehre drohen (BVerfG, NJW 2022, 680, 682; NJW 1009, 3016, 3017).

 

a)

Diese Abwägung ist vorliegend auch nicht etwa ausnahmsweise entbehrlich. Entbehrlich ist diese Abwägung nämlich nur dann, wenn sich die streitgegenständliche Äußerung als Schmähung oder Schmähkritik, als Formalbeleidigung oder als Angriff auf die Menschenwürde darstellt (BVerfG, NJW 2022, 680, 682; NJW 2020, 2622). Für die Annahme einer Formalbeleidigung oder Schmähkritik sind strenge Maßstäbe anzulegen (OLG Karlsruhe, BeckRS 2019, 28239). Ein sachlicher Anlass aus Sicht des Kritikers für eine drastische Formulierung kann eine Schmähkritik ausschließen (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1986, 1262).

 

Vorliegend ist weder eine Formalbeleidigung noch Schmähkritik gegeben.

 

Eine Formalbeleidigung bezeichnet die Verwendung einer kontextunabhängig gesellschaftlich absolut missbilligten und tabuisierten Begrifflichkeit und damit die spezifische Form der Äußerung (BVerfG, NJW 2020, 2622; BeckOK/v. Heintschel-Heinegg, StGB, 54. Edition 2022, § 185 Rn. 36). Darunter sind etwa Schimpfwörter zu fassen, die nichts anderes als eine Herabwürdigung beinhalten oder die Verwendung von Fäkalsprache. Der Begriff „Blockwart“ fällt nicht darunter. Ein Blockwart bezeichnet nach dem Verständnis des Durchschnittspublikums eine Person, die unter der NS-Zeit die Aufgabe hatte, die Bewohner einer bestimmten Blocks genau zu beobachten und etwaige Verstöße und auch etwaige nicht linientreue Gesinnung zu melden. Damit beinhaltet der Begriff bereits eine Kritik in der Sache, nämlich dass jemand in unangemessener Weise spitzelnd und anzeigend tätig wird. Angesichts dieses sachlichen Gehalts scheidet die Annahme einer Formalbeleidigung aus. Es bedarf einer näheren Betrachtung des Kontexts der Äußerung.

 

Auch eine Schmähkritik ist vorliegend nicht gegeben. Schmähkritik liegt vor, wenn eine Äußerung keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Es sind dies Fälle, in denen eine vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen, etwa in Fällen der Privatfehde (BVerfG, NJW 2022, 680, 682; NJW 2014, 3357). Bei der in Ansehung von Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz gebotenen Anlegung strenger Maßstäbe scheidet die Annahme von Schmähkritik vorliegend aus. Allein der Umstand, dass eine überzogene oder gar ausfällige Kritik vorliegt, macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Vielmehr ist zu prüfen, ob die Auseinandersetzung in der Sache oder aber die Kränkung – nach dem Verständnis des unvoreingenommenen und verständigen Publikums – im Vordergrund steht. Vorliegend ging der Äußerung des Angeklagten eine Auseinandersetzung voraus, an der auch der Angeklagte (wenn auch zunächst schweigend) teilgenommen hatte. Durchgehend ging es um die Frage, ob der Zeuge Dr. X. vom Angeklagten verlangen kann, seinen Pkw von seinem Abstellort wegzufahren. Durch sein Verhalten machte der Angeklagte deutlich, dass er es für unangemessen hielt, dass eine Privatperson dies von ihm verlangte. Der Zeuge hingegen insistierte darauf, und für die Umstehenden war ersichtlich, dass man sich genau um diese Sachfrage uneins war. Seine Äußerung tätigte der Angeklagte konkret zu dem Zeitpunkt, als es darum ging, ob nun die Polizei hinzugerufen werden solle oder nicht. Wenn der Angeklagte in dieser Situation die Äußerung tätigte, so ist diese dahingehend zu verstehen, dass er das Verhalten des Zeugen kritisierte und ihn als übermäßig verfolgungseifrig ansah. Da demnach ein klarer Sachzusammenhang gegeben ist und sich das benutzte Wort auch inhaltlich auf das beanstandete Verhalten bezieht, ist nicht anzunehmen, dass ein Verächtlichmachen ohne Bezug zu einer sachlichen Auseinandersetzung vorliegt.

 

b)

Demnach ist eine grundrechtlich angeleitete abwägende Gewichtung der beeinträchtigten Rechtsgüter vorzunehmen. Dabei hat das Grundrecht der Meinungsfreiheit im Rahmen der wertungsoffenen Tatbestandsmerkmale und Strafbarkeitsvoraussetzungen des Strafgesetzbuchs, insbesondere der Begriffe der „Beleidigung“ und der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ gemäß § 193 StGB einzufließen. Hierfür bedarf es einer umfassenden Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falls und der Situation, in der die Äußerung erfolgte (BVerfG, NJW 2022, 680, 682). Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen können insbesondere Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten gehören (BVerfG, NJW 2022, 680, 682; NJW 2020, 2622 (Rn. 27).

 

Vorliegend ist im Hinblick auf den Inhalt der Äußerung festzustellen, dass diese sich vorwiegend gegen das Verhalten der Person des Zeugen richtet. Dies ergibt sich schon aus dem Situationszusammenhang, da zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen lediglich ein Sachthema streitig war. Auch aus der verlesenen Aussage des Zeugen S. wird dies deutlich. Dieser konnte zwar den Wortlaut der Äußerung nicht mehr im Einzelnen wiedergeben (was als eher Unbeteiligter auch nachvollziehbar ist). Er fasste den Sinn der Äußerung aber dahingehend zusammen, dass der Angeklagte den Zeugen aufgefordert habe, sich nicht als Blockwart aufzuspielen. Es wird also deutlich, dass auch bei Dritten die Äußerung deutlich auf das Verhalten des Zeugen Dr. X. abzielte und nicht auf ihn als Person. Eine — wenn auch mit drastischen Worten — geäußerte Kritik am Verhalten einer Person stellt aber einen weniger intensiven Eingriff in das Rechtsgut der Ehre dar als ein solcher, der sich vom sachlichen Anlass weiter löst. Auf der anderen Seite lösen Vokabeln, die an das Dritte Reich anknüpfen, durchaus weitgehende Assoziationen aus, die auf einen Unrechtsstaat, der seine Bürger bespitzelt und überwacht, abzielen. Je näher die Vokabel aber bezogen auf einen konkreten Anlass verwendet wird, desto weniger werden diese Assoziationen pauschal geweckt.

 

Was die Form der Äußerung angeht, so ist vorliegend zu berücksichtigen, dass der Angeklagte spontan und ad hoc in einer mündlich geführten Auseinandersetzung reagierte, was die vorliegende Ehrverletzung in einem milderen Licht erscheinen lässt.

 

Zum Anlass der Äußerung ist festzustellen, dass diese an einen Anlass anknüpfte, der ebenfalls durch ein drängendes Verhalten geprägt war. Der Angeklagte wurde vom Zeugen Dr. X. mehrfach gedrängt und aufgefordert. Dieser verfolgte dabei freilich ein legitimes Ziel – wobei an dieser Stelle klarzustellen ist, dass es bei der Frage der zulässigen Meinungsäußerung nicht darauf ankommt, ob ein Durchschnittsbürger die geäußerte Meinung teilen würde oder nicht. Bei der Analyse des Anlasses der Äußerung ist daher lediglich festzustellen, dass sich eine unwirsche Reaktion anschloss an eine ebenfalls drängende Vorgehensweise des Zeugen Dr. X. – ohne dass es darauf ankommt, wem inhaltlich „Recht“ zu geben ist.

 

Die Wirkung der Äußerung war vorliegend begrenzt. Es standen einige Personen in der Schlange zum Bäcker, die die Äußerung vernommen haben. Allerdings handelte es sich um eine begrenzte Anzahl und die Äußerung war flüchtig, also nirgendwo verschriftlicht, aufgenommen oder gar im Internet verbreitet. Hinzu kommt, dass die Personen, die die Äußerung hörten, den Zeugen Dr. X.nicht kannten. Sie konnten die Ehrverletzung daher keiner Person namentlich zuordnen – für sie war es ein Disput zwischen zwei Unbekannten.

 

Im Rahmen der Abwägung ist schließlich vorliegend zu berücksichtigen, dass sich der Zeuge vor der Äußerung des Angeklagten als Staatsanwalt zu erkennen gegeben hatte und durch sein Verhalten deutlich machte, dass er sich auch aufgrund dieser Position zur Durchsetzung des Ordnungsrechts berufen fühlte. Er beteiligte sich daher als Amtsträger an der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs. Somit stellte die angeklagte Äußerung auch eine Kritik an einem staatlichen Handeln dar. Geht es aber um Kritik an behördlichen oder gerichtliche Entscheidungen, so kommt der Meinungsfreiheit ein besonderes Gewicht zu. Starke und eindringliche Ausdrücke im Rahmen der Kritik an behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen stehen grundsätzlich unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz, und im „Kampf ums Recht“ sind auch Amtsträger gehalten, überpointierte Kritik an ihrer Arbeit auszuhalten (BVerfG, NJVV 1988, 191; BVerfG, NJVV 2014, 3357; OLG München, Beschluss vom 31.05.2017, BeckRS 2017, 112292; KG StraFo 2010, 392). Unerheblich ist bei diesem Argument, ob die kritisierte staatliche Maßnahme tatsächlich rechtswidrig war oder nicht (BVerfG, NJVV 1992, 281; OLG München, a.a.O., Rn. 14). Es ist daher auch an dieser Stelle nicht entscheidend, ob das Verhalten des Zeugen legitim war oder nicht.

Die Kammer hat die vorstehenden Aspekte einzeln und in der Gesamtschau gegeneinander abgewogen. Nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere aufgrund des klar erkennbaren Situationsbezugs der Äußerung überwiegt danach die Meinungsfreiheit gegenüber der Ehrverletzung, so dass die Äußerung gemäß § 193 StGB gerechtfertigt ist. Der Angeklagte war daher aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

Die Vorsitzende

Fundstellen: https://rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/autofahrer-beschimpft-radfahrer-in-duesseldorf-als-blockwart_aid-83788363