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Sollte eine TV-Moderatorin erneuten Persönlichkeitsrechtsverletzungen eines bekannten deutschen Publizisten in den Medien ausgesetzt sein, dürfte sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Frage der Notwendigkeit einer Kompensationszahlung von Verfassungs wegen dringlich stellen.

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

– 1 BvR 2194/15 –

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

der Frau M…,

– Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Daniel Tobias Czeckay

in Sozietät CSP Rechtsanwälte Czeckay & Partner mbB,

Weststraße 33, 40597 Düsseldorf

 

gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. August 2015 – I-16

U 121/14 –

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

den Vizepräsidenten Kirchhof

und die Richter Masing,

Paulus

 

gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntma-

chung

 

vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 2. April 2017 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenom-

men.

 

G r ü n d e :

 

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Abweisung einer Zivilklage auf Geldent-

schädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

 

  1. Die Beschwerdeführerin war Moderatorin eines Kulturmagazins im öffentlich-

rechtlichen Fernsehen. Ein ausgestrahlter Sendungsbeitrag handelte von einer Anti-

semitismusdebatte, zu welcher der spätere Beklagte des Ausgangsverfahrens – ein

Journalist, Autor und Publizist – entscheidend beigetragen hatte. In der Anmoderation

der Sendung erläuterte die Beschwerdeführerin unter anderem, weshalb der Beklag-

te aus ihrer Sicht ein armer Mann sei, und äußerte, er habe sich als „Mühlstein der

Vergangenheitsbewältigung“ zur Verfügung gestellt.

 

  1. Der Beklagte veröffentlichte daraufhin auf seinem Blog einen Beitrag unter der

Überschrift „Das kleine Luder vom Lerchenberg“, den er einleitete mit „Tina – sie ist

es nicht, sie heißt nur so – M. neigt ihr Köpfchen zur Seite, damit der Verstand sich in

einer Ecke konzentrieren kann“. Nach wörtlicher Wiedergabe des Anmoderationstex-

tes der Beschwerdeführerin heißt es auszugsweise weiter:

„An dieser Moderation muss das kleine Luder vom Lerchenberg

lange gefeilt haben, vor allem das Bild mit dem ‚Mühlstein der Ver-

gangenheitsbewältigung‘ ist ihr besonders gut gelungen. Für so was

wird die delirierende Hausfrau alle drei Wochen von London nach

Mainz eingeflogen (…). Von allen kz-Moderatoren und Moderatorin-

nen ist sie die dummste und unfähigste (…). Der Besuch mit mir in

einem Jerusalemer Cafe (…) muss wohl die absolute Climax ihres

ansonsten an Höhepunkten armen Lebens gewesen sein (…). Und

falls Sie bis jetzt nicht wussten, wofür Sie Ihre GEZ-Beiträge bezah-

len, jetzt wissen Sie es: Damit das Tina es mir heimzahlen kann.

Gründe dafür gibt es genug.“

 

  1. Die Beschwerdeführerin erwirkte eine einstweilige Unterlassungsverfügung in

Bezug auf diverse dieser Äußerungen, die der Beklagte als verbindlich anerkannte

und in einem weiteren Blogbeitrag mit dem Titel „Heiteres Moderatoren-Raten“ ohne

Namensnennung der Beschwerdeführerin abermals thematisierte. Die Beschwerde-

führerin erhob Klage in der Hauptsache auf Entschädigung in Geld wegen Verletzung

ihres Persönlichkeitsrechts. Das Landgericht gab der Klage in Höhe von 7.500 €

statt.

 

  1. Auf die Berufung des Beklagten wies das Oberlandesgericht die Klage mit dem

angegriffenen Urteil hinsichtlich der Geldentschädigung ab (OLG Düsseldorf, Urteil

vom 13. August 2015 – I-16 U 121/14 -, juris). Das Oberlandesgericht stellte zunächst

ausführlich heraus, dass die Äußerungen des Beklagten in schwerwiegender Weise

in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin eingriffen und nicht

von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Dem Beklagten sei es darauf angekommen,

die Beschwerdeführerin zu diffamieren; ein „Recht auf Gegenschlag“ habe ihm nicht

zugestanden.

 

Allerdings lag nach Auffassung des Oberlandesgerichts kein Eingriff in das Persön-

lichkeitsrecht vor, der nicht anders als durch die Zubilligung einer Geldentschädigung

kompensiert werden könne. Bei seiner Beurteilung der Gesamtumstände berücksich-

tigte das Gericht unter anderem, dass der Beklagte die gegen ihn ergangene einst-

weilige Verfügung akzeptiert und soweit ersichtlich die angegriffenen Äußerungen

nicht wiederholt habe. Für den Fall, dass er dies tue, stehe der Beschwerdeführerin

die Durchsetzung ihres Unterlassungstitels durch Ordnungsmittel offen. Wenn dem

Beklagten auch kein Recht auf Gegenschlag zustehe, sei doch zu berücksichtigen,

dass die Debatte um seine Person und seinen Antisemitismusvorwurf hoch emotional

geführt worden sei und dass die Beschwerdeführerin eine durchaus kritische Einstel-

lung gegenüber dem Beklagten eingenommen habe. Es könne kein besonders hoher

Verbreitungsgrad der Äußerungen im Internet festgestellt werden. Der Beitrag belege

mit insgesamt 6.000 Aufrufen kein besonders großes Interesse an den Stellungnah-

men des Beklagten. Belastbare Indizien für eine weitere Verbreitung im Netz habe

die Beschwerdeführerin nicht dargetan. Der Beklagte habe in der Folgezeit zudem

darauf hingewiesen, sich dem Unterlassungsanspruch gefügt zu haben, auch wenn

er dies nur getan habe, um nochmals die inkriminierten Äußerungen tätigen und er-

neut Aufmerksamkeit auf sich und die Debatte lenken zu können.

 

  1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung

ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Ein

Unterlassungsanspruch könne ihre Persönlichkeitsverletzung nicht rückwirkend kom-

pensieren. Die Geldentschädigung sei das einzige Mittel, um die Respektierung ihres

Personenwertes und die Sanktion der Ehrverletzung durch die Zivilrechtsordnung si-

cherzustellen. Auch der folgende Blogbeitrag des Beklagten habe keinen Kompensa-

tionswert, da er dort die öffentliche Bloßstellung der Beschwerdeführerin wiederholt

habe. Das Oberlandesgericht habe zudem die potentielle Gefährlichkeit der Internet-

verbreitung verkannt.

 

II.

Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG für die Annahme der Verfassungs-

beschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor. Die angegriffene Entscheidung des

Oberlandesgerichts liegt noch im fachgerichtlichen Wertungsrahmen und lässt keine

grundsätzlich unrichtige Anschauung von Bedeutung und Reichweite des allgemei-

nen Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin erkennen.

 

  1. Die Versagung eines Entschädigungsanspruchs berührt den Schutzbereich des

Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (vgl.

BVerfGE 34, 269 <281 f., 285 f.>; BVerfGK 6, 144 <146 f.>; BVerfG, Beschluss der

  1. Kammer des Ersten Senats vom 9. März 2007 – 1 BvR 1946/04 -, NJW-RR 2007,
  2. 1191 <1192>). Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts – hier insbeson-

dere der § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG – obliegen primär

den Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht überprüft deren Entscheidungen

– abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf, ob sie Ausle-

gungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der

Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutz-

bereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die Normauslegung die Tragweite der

Grundrechte nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnis-

mäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 <92

f.>; 34, 269 <279 f.>; 85, 248 <257 f.>; 110, 226 <270>; stRspr).

 

  1. Nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte ist Geldentschädigung nur dann zuzu-

billigen, wenn eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht auf andere Weise

befriedigend ausgeglichen werden kann. Hiergegen ist verfassungsrechtlich nichts

zu erinnern (vgl. BVerfGE 34, 269 <285 f.>; BVerfGK 3, 49 <52, 54>; 6, 144 <146 f.>;

9, 317 <321 f.>). Die Zuerkennung einer Geldentschädigung für Persönlichkeits-

rechtsverletzungen dient auch der Prävention (BGHZ 160, 298 <302>; 199, 237

<257>; stRspr). Die staatliche Pflicht, den Einzelnen vor Gefährdungen seines Per-

sönlichkeitsrechts durch Dritte zu schützen (vgl. BVerfGE 34, 269 <281 f.>; 99, 185

<194 f.>; 114, 339 <346>; stRspr), auf die der Anspruch auf Entschädigung bei Per-

sönlichkeitsrechtsverletzung zurückgeht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des

Ersten Senats vom 8. März 2000 – 1 BvR 1127/96 -, NJW 2000, S. 2187 <2187 f.>;

BVerfGK 3, 49 <52>), kann sich dann bis zur Gebotenheit einer Geldentschädigung

verdichten. Auf der anderen Seite ist aus der Perspektive des Art. 5 Abs. 1 GG in

Rechnung zu stellen, dass von drohenden Kompensationszahlungen auch eine Ein-

schüchterungswirkung auf zulässige Meinungsäußerungen ausgehen kann. Für die

Verhängung solcher Entschädigungszahlungen kommt es insoweit auf eine Gesamt-

würdigung der Umstände der beanstandeten Äußerung an, wobei neben dem Ge-

wicht der Persönlichkeitsverletzung auch deren Eindeutigkeit und Erkennbarkeit so-

wie deren Kontext einzustellen ist.

 

  1. Auf dieser Grundlage ist die Annahme des Oberlandesgerichts, eine Entschädi-

gung in Geld sei zur Genugtuung der Beschwerdeführerin nicht notwendig geboten,

verfassungsrechtlich vertretbar.

 

Allerdings hebt die Beschwerdeführerin zu Recht hervor, dass die beanstandeten

Anwürfe des Beklagten ihr Persönlichkeitsrecht schwerwiegend beeinträchtigen, oh-

ne von dessen Meinungsfreiheit gedeckt zu sein. Das Oberlandesgericht hat dies je-

doch nicht verkannt, sondern sich sorgfältig mit dem Kompensationsbedarf unter den

konkreten Umständen auseinandergesetzt. Dabei hat es gegen die Notwendigkeit ei-

ner Kompensationszahlung angeführt, dass der Blogbeitrag des Beklagten sich in

den Kontext einer öffentlichen, kontroversen und scharf geführten Diskussion

(„Antisemitismus-Debatte“) einfügt. Dies ist ein tragfähiger Gesichtspunkt. Es handelt

sich danach nicht um eine Veröffentlichung, die rücksichtslos Persönlichkeitsverlet-

zungen in Kauf nimmt, um hieraus kommerziellen Nutzen zu ziehen, sondern um die

Äußerung einer Einzelperson. Jedenfalls weil die Äußerungen sich gegen die Mode-

ration in einer bundesweit ausgestrahlten Fernsehsendung richteten, ist auch gegen

die Erwägung des Gerichts, dass der Beitrag nicht ein Breitenpublikum erreicht, son-

dern einen eher geringen Verbreitungsgrad gefunden habe, nichts zu erinnern. Der

Verweis auf die ideelle Genugtuung durch den Unterlassungstitel und die Möglich-

keit, ihn im Vollstreckungsverfahren durchzusetzen, lässt unter diesen Umständen ei-

ne Verkennung des wertsetzenden Gehalts des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

nicht erkennen und hält sich im fachgerichtlichen Wertungsrahmen (vgl. BVerfG, Be-

schluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. September 2009 – 1 BvR 1681/09

-, juris). Sollte die Beschwerdeführerin erneut Persönlichkeitsrechtsverletzungen des

Beklagten ausgesetzt sein, dürfte sich die Frage einer Notwendigkeit einer Kompen-

sationszahlung von Verfassungs wegen freilich dringlicher stellen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Kirchhof Masing Paulus

 

Fundstellen : NJW-RR 2017, 835, ZUM 2017, 835, AfP 2017, 228

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/04/rk20170402_1bvr219415.html