11. September 2014
Recht auf Vergessenwerden - Das neue Internet-Grundrecht

Ein Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung zum Schutz der Privatheit
EuGH Urt. v. 13.05.2014 Az. C-131/12 - Mario Costeja González

Das in seiner Eindeutigkeit längst überfällige Urteil des Europäischen Gerichtshof stellt fest, dass die Rechtsprechung der deutschen Gerichte zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht bisher all zu häufig jedenfalls hinter den Anforderungen der europarechtlichen Vorgaben zurückgeblieben ist. Dem Schutzzweck der Datenschutzrichtlinie 95/46 wurde nicht immer ausreichend Rechnung getragen. Gegenstand der Richtlinie 95/46 ist nach Art. 1 der Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten und insbesondere der Schutz der Privatheit natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten.

Im nun vom EuGH entschiedenen Fall begehrte ein spanischer Geschäftsmann sowohl von Google Spain SL als auch Google Inc. die Entfernung eines über 16 Jahre alten Zeitungsartikels, in dem über die Versteigerung seines Grundstücks wegen Forderungen der Sozialversicherung berichtet wurde. Der Zeitungsartikel wurde bei Eingabe des Namens des Klägers in der Suchmaschine im Ergebnis der Suchanfrage eingeblendet. Der Kläger erstritt mit Erfolg die Entfernung des betreffenden Links aus dem Suchergebnis.

Der EuGH stellt mit Blick auf die Erwägungsgründe der Richtlinie fest:

"Gegenstand der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über die Verarbeitung personenbezogener Daten ist die Gewährleistung der Achtung der Grundrechte und -freiheiten, insbesondere des auch in Artikel 8 der am 04. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und in den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts anerkannten Rechts auf Privatsphäre. Die Angleichung dieser Rechtsvorschriften darf deshalb nicht zu einer Verringerung des durch diese Rechtsvorschriften garantierten Schutzes führen, sondern muss im Gegenteil darauf abzielen, in der Gemeinschaft ein hohes Schutzniveau sicherzustellen.".

Der EuGH hat für eine Vielzahl auch ganz anders gelagerter Sachverhalte interessante, grundlegende Feststellungen zur Bedeutung des Persönlichkeitsschutzes gemacht (Rn. 54/69):

"Insoweit ergibt sich insbesondere aus den Erwägungsgründen 18 bis 20 und Art. 4 der Richtlinie 95/46, dass der Unionsgesetzgeber vermeiden wollte, dass der gemäß der Richtlinie gewährleistete Schutz einer Person vorenthalten und umgangen wird, und deshalb einen besonders weiten räumlichen Anwendungsbereich vorgesehen hat. (...) So garantiert Art.7 der Charta das Recht auf Achtung des Privatlebens, und Art. 8 der Charta proklamiert ausdrücklich das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten. In den Abs. 2 und 3 des letztgenannten Artikels wird präzisiert, dass diese Daten nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden dürfen, dass jede Person das Recht hat, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken, und dass die Einhaltung dieser Vorschriften von einer unabhängigen Stelle überwacht wird."

Der Schutz der Persönlichkeitsrechte, insbesondere der Privatheit, wird in Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigt und muss auch von der deutschen Rechtsprechung nunmehr im Lichte der aktuellen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs neu bewertet und vor allem ausreichend beachtet werden. Der EuGH stellt nicht abschließend verschiedene Fallgruppen für ein Recht auf Vergessenwerden im Internet vor (Rn.95 f.):

"Zu Art. 12 Buchst. b der Richtlinie 95/46, der voraussetzt, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten nicht den Bestimmungen der Richtlinie entspricht, ist festzustellen, dass die Verarbeitung, wie bereits in Rn. 72 des vorliegenden Urteils ausgeführt, den Bestimmungen der Richtlinie nicht nur nicht entsprechen kann, weil die Daten sachlich unrichtig sind, sonder u.a. auch, weil sie nicht den Zwecken der Verarbeitung entsprechen, dafür nicht erheblich sind oder darüber hinausgehen, nicht auf den neusten Stand gebracht sind oder länger als erforderlich aufbewahrt werden, es sei denn ihre Aufbewahrung ist für historische, statistische oder wissenschaftliche Zwecke erforderlich. Aus diesen in Art. 6 Abs. 1 Buchst. c bis e der Richtlinie 95/46 enthaltenen Anforderungen ergibt sich, dass auch eine ursprüngliche rechtmäßige Verarbeitung sachlich richtiger Daten im Laufe der Zeit nicht mehr den Bestimmungen der Richtlinie entsprechen kann, wenn die Daten für die Zwecke, für die sie erhoben oder verarbeitet worden sind, nicht mehr erforderlich sind. Das ist insbesondere der Fall, wenn sie diesen Zwecken in Anbetracht der verstrichenen Zeit nicht entsprechen, dafür nicht oder nicht mehr erheblich sind oder darüber hinausgehen."

Der Anspruch des Betroffenen auf Vergessenwerden besteht unabhängig davon, ob ihm ein Schaden entstanden ist. Der EuGH gibt unmissverständlich vor, welches Regel/Ausnahme Verhältnis er für zutreffend erachtet: In der Regel überwiegt bei der Auffindbarkeit von Informationen in Internetsuchmaschinen der Schutz der Privatheit- ein öffentliches Interesse an personenbezogenen Daten ist damit von demjenigen, der für die Veröffentlichung verantwortlich zeichnet, als Ausnahmefall nachzuweisen. Der EuGH geht davon aus, dass das Recht auf Vergessenwerden grundsätzlich nicht nur gegenüber dem wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers, sondern auch gegenüber dem Interesse der breiten Öffentlichkeit daran, die Information bei einer anhand des Namens der betroffenen Person durchgeführten Suche zu finden, überwiegt.

Der EuGH stärkt damit die Rechte des Einzelnen in einer zunehmend gnadenlosen Informationsgesellschaft.

Lesen Sie zu diesem Thema auch Prof. Dr. Boehme-Neßler "Das Recht auf Vergessenwerden - Ein neues Internet-Grundrecht im Europäischen Recht" in NVwZ 2014, 825 f.